Ein Netz am Arm

»Ein Netz am Arm – da muss man nicht viel erklären.«

Wenn Fischer ihre Netze verlieren oder entsorgen, treiben sie als Geisternetze durch die ­Meere – und werden zu Todesfallen für Wale, Delfine, Schildkröten und Millionen Fische. ­Benjamin Wenke und seine Frau Madeleine von Hohenthal bekämpfen das Problem auf ­kreative Art: Sie basteln aus den Netzen bunte Armbänder. Ein Gespräch über Wochenendschichten am Küchentisch und die Wirkung einer Botschaft, die man am Handgelenk trägt.

Wie seid ihr auf die Geisternetze gestoßen?
2015 waren wir im Urlaub auf Sansibar. Schon am ersten Tag sind uns beim Strandspaziergang diese Netzreste aufgefallen. Beim Tauchen sahen wir ­ganze Netze in Riffs hängen, in denen sich Fische und eine Meeresschildkröte verfangen hatten. Wir haben dann die Fischer vor Ort gefragt, wo die Netze herkommen.

Was haben die gesagt?
Wenn Schleppnetze an Riffs oder Schiffswracks hängenbleiben, werden sie abgeschnitten, aus Sicherheitsgründen. Andere gaben zu, dass kaputte ­Netze einfach über Bord geworfen werden. Später erfuhren wir, dass die ­großen ­Trawler auch intakte Netze ins Meer werfen, aus Platzgründen: Wenn sie ­eigentlich randvoll beladen sind, aber noch einen großen Thunfischschwarm orten, wird abgewogen, was mehr wert ist: ein Netz oder ein Schwarm ­Thunfische. Da geht das Netz über Bord.

Von wie vielen Netzen sprechen wir?
Die Meere sind voll davon. In der Nordsee vor den Niederlanden, wo wir oft mit Tauchern rausgefahren sind, liegen Tausende Schiffswracks – an 99 ­Prozent davon hängen Netze. Weltweit kommen jedes Jahr 640.000 Tonnen hinzu, ­etliche Tausend Kilometer. Die Netze fischen einfach weiter: Da verfangen sich Wale, Delfine und Robben, Schildkröten, Seevögel und Millionen Fische und Krabben. Außerdem bilden Fischernetze einen großen Teil des Plastikmülls in den Meeren: Proben, die kürzlich aus dem großen Strudel im Pazifik geholt wurden, bestanden zu 46 Prozent aus Fischernetzen.

Wie kamt ihr auf die Idee, Armbänder daraus zu machen?
Wir dachten, wenn wir Fotos und Videos posten, sagen alle „Oh, das ist nicht gut“ – und scrollen weiter zum nächsten Katzenvideo. Wir wollten irgendetwas aus den Netzen fertigen. Auf Sansibar haben wir angefangen, sie einzusammeln und waren überrascht von den knalligen Farben. Irgendwann haben wir uns ein Stück ans Handgelenk gelegt und dachten: Das ist es! Ein Netz am Arm – da muss man nicht viel erklären! Die Leute können es als Botschaft mit sich tragen, als Reminder im Alltag. Der Name Bracenet, vom englischen „bracelet“, war schnell da. Wir haben damals beide in der Werbung gearbeitet. Auch den Slogan hatten wir sofort im Kopf: „Save the seas. Wear a net.“

Ein Start-up aus Meeresmüll.
Wir hatten gar nicht vor, damit Geld zu verdienen. Anfangs haben wir die Armbänder nebenbei gebastelt – nach der Arbeit am Küchentisch unserer ­Zweizimmerwohnung. Der erste Einschlag kam dann mit einer Bestellung von der Telekom: Netze, das ist ja deren Thema. Die wollten unsere Bracenets in ­einer Newsletter-Rabatt-Aktion anbieten – und wir haben leichtfertig zugesagt. Innerhalb von drei Tagen hatten wir Bestellungen für 10.000 Armbänder.

War ganz schön was los am Küchentisch?
Wir haben meine Eltern und alle Freunde eingespannt, die irgendwie ­bastelaffin waren. Damals haben wir auch angefangen, mit der ersten ­Behindertenwerkstatt zu arbeiten. Trotzdem haben wir es nicht geschafft und mussten die Kunden in einem Newsletter vertrösten, dass es leider länger dauert. Wir haben mit einem Shitstorm gerechnet. Stattdessen haben wir viel Lob bekommen – und Bewerbungen ohne Ende!

Wie läuft die Produktion heute?
Madeleine und ich machen das seit eineinhalb Jahren hauptberuflich. ­Mittlerweile sind wir zu elft, mit Festangestellten, Teilzeitkräften und ­450-Euro-Jobbern. Wir kooperieren mit vier Behindertenwerkstätten, die alle super Arbeit machen. Und nun haben wir endlich auch ein richtiges Büro mit einer eigenen Etage für die Fertigung. Statt in meinem alten Kinderzimmer in Duisburg liegen die Netze heute in einem Lager in Neumünster. Bislang haben wir über 3,5 Tonnen zu Armbändern verarbeitet.

Woher kommen die Netze?
Geborgen werden sie von den Tauchern von Ghostfishing, die mit 150 ­Experten in zwölf Ländern nach Netzen tauchen. Aufbereitet und gewaschen werden sie von dem norwegischen Unternehmen Nofir. Koordiniert wird der Kreislauf von Healthy Seas aus den Niederlanden. Denen spenden wir 10 Prozent unserer Einnahmen – bislang über 30.000 Euro.

Was soll ich tun, wenn ich beim Tauchen ein Netz entdecke?
Bloß nicht losschneiden! Netze zu bergen ist gefährlich, als Taucher kann man sich schnell selbst darin verfangen. Das sollte man Experten überlassen.

Und wenn ich eins am Strand finde – wie ihr damals in Sansibar?
Schick es uns! Wir sind gerade dabei, eine Fundgrube einzurichten. Nicht, dass wir nicht genügend Netze hätten – aber wir wollen, dass die Leute mit dem Problem in Kontakt bleiben. Die Armbänder sind ein Reminder, um über den Müll in den Meeren nachzudenken. Viele Kunden erzählen uns, dass sie oft darauf angesprochen werden. Und dass die Armbänder ihnen helfen, den eigenen Alltag plastikfreier zu halten: Durch das Bracenet denken sie daran, ­einen Baumwollbeutel zum Einkaufen mitzunehmen. Und wenn sie beim ­Bäcker einen Coffee to go bestellen und auf ihr Armband blicken, sagen sie: „Ach, den trink ich doch lieber hier.“ Was wir uns damals so romantisch ­vorgestellt ­haben, funktioniert wirklich.

Über Bracenet

Neben Armbändern, benannt nach den Weltmeeren, gibt es auch Schlüssel­anhänger aus Geisternetzen. ­Weitere Produkte wie Hundeleinen, Handtaschen und ­Einkaufsnetze sind in Planung. Zu den Großkunden ­gehören die Telekom, ­Lufthansa, Otto und Kangaroo. Bei vielen dieser Unternehmen halten Benjamin Wenke und Madeleine von Hohenthal ­Vorträge und Workshops zum Thema Nachhaltigkeit – damit der Müll gar nicht erst in die Meere gelangt. Preis Armband (mit Magnetverschluss) / ­Schlüssel­anhänger: je 19€
www.bracenet.net

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+49 9621 6715-0
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